CHEN RUO BING

Chen Ruo Bing

Dieter Ronte

Das Feld der Farbmalerei ist auch in der dritten Generation eng besetzt; als Triumph der Malerei, als Trotz gegen die Gegenständlichkeit, als Hoffnung, Existenzialismus, l’art pour l’art, Kunst der Kunst wegen, Malerei um der Farben wegen. Was kann noch neues entstehen? Sind nicht alle Nischen besetzt?

Was aber passiert, wenn ein Chinese mit fertiger Kunstausbildung – praktischer und sehr theoretischer, kunsthistorischer Natur – nach Deutschland kommt und dann weiter bei Gotthard Graubner studiert? Verliert er seine ursprünglichen Wurzeln, seine kulturellen Konnotationen? Gibt er diese auf zugunsten einer westlichen Sicht oder gelingt es ihm im Sinne von These und Antithese eine Synthese zu finden, die Neues erlaubt. Das hieße aber, dass bereits ein einschränkender Charakter im Sinne von Qualität gesucht wird, nämlich der ästhetische Mittelweg.

Viele Künstler, die diese ostwestliche, westöstliche Wanderung durchgemacht haben, die sich tief in ihre Biografie und also auch in ihre Kunstwerke eingeschrieben hat, haben diese zum Kompromiss neigenden Lösungen gesucht. Anders verhält es sich bei den Arbeiten von Chen Ruo Bing. Er trifft ein eigenes Feld. Er baut bildliche Spannungen auf, die dem Diktat der Farbe mehr unterliegen als denen der Form, zugunsten einer neuen Ausgeglichenheit, die das europäische Format, groß oder klein, aber immer im rechten Winkel konstruiert, füllt. Der Betrachter erkennt völlig andere Verläufe, als er sie kennt. Dahinter steckt ein minimalistisches Denken, ein weniger ist mehr, das in der chinesischen Philosophie ankert. Darüber hinaus gibt das Verhältnis der Bildteile zueinander ein fast narratives Beschreibungsverhältnis wieder, das so konsequent der Europäer nicht finden könnte. Die Erinnerung an die Raffinements der Tuschmalerei verbindet sich mit den großen Bildern des europäischen Tachismus und der abstrakten Malerei.

Chen Ruo Bing versteht es, in rationalisierter Meditation die Gegensätze zu überwinden, ohne ihnen die Schärfe zu nehmen. Er bietet eine Möglichkeit an, zeigt Optionen auf, die „kriegerische“ Gegensätze verhindern, um zu verdeutlichen, dass in der Kunst eine Sprache möglich ist, die Politiker wahrscheinlich nie beherrschen werden. Er konzentriert sich auf sich selbst, er erkennt sein Individuum als Impulsgeber. Er akzeptiert seine Biografie mit ihren Wanderungen. Er produziert aus diesen Verhältnissen heraus neue Maßstäbe in einer neuen bildlichen Bezogenheit. Chen Ruo Bing visualisiert etwas neues, etwas anderes, das mit nur europäischem Wissen oder nur chinesischen Erkenntnissen nicht einzuordnen ist.

Aber die Bilder liegen auch nicht irgendwo dazwischen, sie rudern nicht herum im Weltmeer der Kunstgeschichte. Sie konzentrieren sich auf sich selbst, bilden Inseln aus, solitäre Blöcke als Bild, die der Betrachter auf dem Schiff seines Sehens umfährt. Die Bilder scheinen keinen Anfang zu haben und kein Ende, sie grenzen nicht ab, aber sie laden auch nicht ein. Sie sind dazwischen, in sich befangen als eine neue Realität Kunst.

Seine Bilder, so still sie sind, haben einen Zustand, der erregt, der fordert, der auffordert. Vielleicht ist dieses ein europäisches Element, ein deutsches, quasi expressives, das diese Bilder mit trägt. Die Aufforderung an den Betrachter sich mit dem Bild auseinander zu setzen, sich aber nicht so in das Bild hinein zu versenken, um romantisch in dem Bilde aufzugehen. Eine aufklärerische Qualität ist hinzu gewachsen, die dennoch das Involviertwerden des Betrachters nicht ausschließt. Das macht die Bilder sehr angenehm, quasi schön, obwohl sie diese Widerständlichkeit in sich tragen.

Diese Qualität des Rebellischen im Sinne der Rezeption findet sich sonst allgemein in der sehr unterhaltenden, sozusagen animierenden Farbmalerei in Europa selten. Chen Ruo Bing gelingt dieses Ergebnis ohne sich in den Spiegel der Monochromie zurückzuziehen, ohne den Minimalismus soweit zu treiben, dass fast nichts mehr erkennbar ist. Seine Bilder haben eine Erkenntlichkeit, die im Sinne von Darstellung eine neue Berechtigung fordern. Die Abstraktion des Narrativen oder die „narrative Geometrie“ (Hildegard und Harald Joos), die Erzählbarkeit einer Abstraktion, dass Philosophem im Sinne seiner Interpretierbarkeit, finden sich in selbständigen visuellen Lösungen.

Chen Ruo Bing ist Chinese und zugleich Europäer als Künstler. In seinen Kunstwerken kristallisieren sich Jahrhunderte, Jahrtausende alte Probleme. Die Seidenstraße taucht wieder auf, die Gerüche der Gewürze, die langen Reisen, das Kamel, die innere Mongolei (Joseph Beuys), die Sehnsucht und die Romantik, die Technik und das Handwerk, die Philosophie und die Träume, das Erklärbare und das Geheimnisvolle. Gegensätze werden visuelle Realität, die ein politisches Konfliktpotenzial der letzten Jahrhunderte einfach überspringen.